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Einführung neuer Hybridkupplungen bei SBB Cargo

Von der Einführung neuer Hybridkupplungen verspricht sich SBB Cargo schnellere Prozesse, attraktivere Arbeitsbedingungen und einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Strassenverkehr. In einer ersten Phase werden im SBB Industriewerk in Bellinzona 12 Streckenlokomotiven des Typs Re 420 umgerüstet, bei 5 Loks ist der Einbau dieser Kupplung bereits erfolgt.

SBB Cargo Re 420 288-3 mit Hybridkupplung an einem Güterzug in Landquart                                        Foto: Marcel Manhart

 

 

 

Im SBB Industriewerk in Bellinzona findet überwiegend die «schwere Instandhaltung» des Rollmaterials von SBB Cargo statt. Ob Lokomotiven oder Güterwagen: Jedes Schienengefährt wird hier im Mehrjahresrhythmus von A bis Z zerlegt, geprüft, repariert und so für weitere Einsatzjahre auf Vordermann gebracht.

 

Im vierten Quartal 2018 zirkulieren in auffallender Häufigkeit Streckenloks vom Typ Re 420 aus den 1970er-Jahren im Tessiner Werk. Ihnen wird eine ganz besonders intensive Behandlung zuteil: Ihre alten Kupplungen werden durch moderne Hybridkupplungen ersetzt. Damit können die Loks sowohl an Güterwagen mit automatischer Kupplung als auch an solche mit der alten Schraubenkupplung andocken. Im Juli 2018 hat der Umbau der ersten von insgesamt 12 Loks begonnen. Jeweils für zwei bis drei Arbeitswochen machen sich permanent zwei Arbeiter an ihr zu schaffen – bohren, schweissen, montieren, lackieren. Bei den SBB Re 420 277, Re 420 278, Re 420 279, Re 420 280 und Re 420 288 ist der Einbau der neuen Hybridkupplungen bereits erfolgt.

 

 

Neue Kupplungen für alte Loks

 

Die neuen Hybridkupplungen hat SBB Cargo im Dezember 2017 bei der deutschen Herstellerfirma Voith GmbH bestellt. Zusammen mit dem Einbau in die 12 Loks ergeben sich Gesamtkosten von rund 2 Millionen Franken. Der hohe finanzielle und zeitliche Initialaufwand, um Güterwagen in Zukunft automatisch statt von Hand zu kuppeln, ist gleichwohl mehr Pflicht als nur Wunsch. «Der Wettbewerbsdruck vonseiten der Strasse steigt permanent», erklärt Fabio Lo Piccolo. Als Mitarbeiter im Geschäftsbereich Asset Management und Transformation von SBB Cargo ist Lo Piccolo stark in das Anfang 2019 offiziell anlaufende Pilotprojekt «Automation im kombinierten Verkehr» involviert. Die Stichworte zum Konkurrenzdruck von der Strasse liefert er gleich mit: Elektromobilität, selbstfahrende Fahrzeuge und immer mehr Lastwagenchauffeure aus EU-Oststaaten mit niedrigen Lohnkosten.

 

Da müsse die Bahn dagegenhalten, ist Lo Piccolo überzeugt. Der Einsatz moderner Technologien könne für SBB Cargo neue Potenziale freisetzen, um die Produktivität zu steigern. Konkret sollen im Rahmen des Pilotprojekts durch gezielte Innovationen am Rollmaterial sowie eine Vereinfachung der Betriebsabläufe die Transportqualität und die Leistungsfähigkeit gesteigert werden. «Im Fokus stehen dabei die Elemente automatische Kupplung, automatische Bremsprobe und teilautonome Rangierlok», fasst Lo Piccolo zusammen.

 

 

Mehr Komfort für Kunden und Mitarbeitende

 

Die Implementierung neuer Technik in bald fünfzigjähriges Rollmaterial ist indes nicht ganz einfach. So seien die Re-420-Lokomotiven von SBB Cargo eigentlich nicht für die Aufnahme happiger Stosskräfte über die Mitte der Fahrzeugfront (statt über die Puffer) konstruiert, wie sie nach dem Einbau der neuen Hybridkupplungen bei entsprechenden Manövern wirken werden. «Allein die Bewältigung dieser Herausforderung mithilfe diverser Nachbesserungen hat unsere Topingenieure während längerer Zeit beschäftigt und diverse Köpfe zum Rauchen gebracht», erzählt Lo Piccolo.

 

Die intensive Vorarbeit dürfte sich dereinst bezahlt machen. So soll sich die Abfertigung eines Güterzugs künftig mit nur noch einer Person realisieren lassen. Neben Personalkosten kann damit auch wertvolle Zeit eingespart werden. «Die Zugvorbereitung dürfte künftig deutlich schneller realisierbar sein», ist Lo Piccolo überzeugt.

 

SBB Cargo sieht sich auch als Arbeitgeberin in der Pflicht. «Berufe wie Rangierer oder Lokführer verlieren seit Jahren an Attraktivität, wogegen wir mithilfe der Automation ankämpfen wollen», sagt Lo Piccolo. Das manuelle Anheben der schweren Schraubenkupplung fällt bei einer automatischen Kupplung weg, was negative gesundheitliche Langzeitfolgen verhindert. Der Lokführer kann beim Kuppeln künftig sogar in seinem Führerstand bleiben.

 

 

Neuer Elan im Wettbewerb mit der Strasse

 

Auch für die Kunden soll der Alltag komfortabler werden. Die schnellere Zustellung des Rollmaterials könnte für SBB Cargo Freiräume schaffen, um den Kunden zusätzliche oder gar neue Verbindungen anzubieten. Gesunde Mitarbeitende und zufriedene Kunden: Automatisierung und Digitalisierung können dem Schienengüterverkehr neue Instrumente in die Hand geben, um den Wettbewerb mit der Strasse gestärkt in Angriff zu nehmen. Anfang 2019 sollen fünf Terminals und Loks mit der automatischen Kupplung und der automatischen Bremsprobe ausgerüstet und für erste Testfahrten bereit sein.

 

 

Die USA und Russland kuppeln schon automatisch

 

Europa ist im Bereich des automatischen Kuppelns von Güterzügen ein Drittweltkontinent. Aufgrund föderaler Strukturen mit Dutzenden von Staats­bahnen konnte man sich in der Vergangenheit trotz mehrerer Anläufe nicht auf einen gemeinsamen Standard und einen Migrationsplan einigen. SBB Cargo ist mit den bevorstehenden Testreihen für den produktiven Einsatz eine Vorreiterin. Anders die USA und Russland, wo Güterzüge schon länger automatisch gekuppelt werden. Die ­Motivation für die Um­stellung in den beiden Ländern hat aber nicht in erster Linie mit Betriebs- und Kosteneffizienz zu tun, sondern vor allem mit Sicherheitsfragen (USA) und dem überwiegenden Einsatz von langen und schweren Zügen (Russland). Mit dem schweizerischen Einzelwagen­ladungsverkehr ist dies kaum vergleichbar. ­Er­fahrungen aus den USA und Russland können ­deshalb nicht in das Pilotprojekt Automation von SBB Cargo einfliessen.

 

 

Genügend Mitarbeitende dank Ein-Personen-Betrieb

 

Die Innovationen automatische Kupplung und automatische Bremsprobe sind zentrale Elemente auf dem Weg zur Einführung des Ein-Personen-Betriebs beim Rangieren. Dieser verspricht nicht nur einen wesentlichen Zeitgewinn, sondern dürfte auch – wegen des attraktiveren Berufsbilds mit weniger körperlicher Arbeit – das Nachwuchsproblem von SBB Cargo bei den Rangiermitarbeitenden entschärfen.



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