Wenn in Berlin einige Strassenbahnen der M4 und Busse auf der Linie 186 bald mit den Fahrgästen reden, sollten diese sich nicht wundern. Denn ab dem 19. Februar 2018 testet die BVG für ein Jahr verschiedene Lösungen, blinden und sehbehinderten Menschen an Bus- und Strassenbahnhaltestellen akustische Fahrgastinformation in Echtzeit anzubieten. Dabei werden sowohl zehn Strassenbahnen und zehn Busse als auch 13 Haltestellen sukzessive ab 19. Februar 2018 bis Ende April 2018 mit akustischen Lösungen ausgestattet. Zudem werden Smartphone-basierte Lösungen getestet.
Im Betriebshof Lichtenberg hat die BVG die geplanten Neuerungen vorgestellt Foto: Marcel Manhart
Das Projekt wird im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) und der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (SenIAS) durchgeführt und wird aus dem Landeshaushalt finanziert.
Beim Thema Barrierefreiheit zählt die BVG, auch im internationalen Vergleich, schon heute zu den Vorreitern. 118 der 173 U-Bahnhöfe sind bereits mit Aufzügen oder Rampen für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste erreichbar, dazu kommen niederflurige Straßenbahnen und sich absenkende Busse. Bereits 121 U-Bahnhöfe sind dank Ansagen und taktilem Leitsystem barrierefrei für blinde und sehbehinderte Menschen. Ziel des jetzt startenden Projekts ist es, auch Busse und Straßenbahnen dem Zwei-Sinne-Prinzip folgend barrierefrei zu gestalten. Das heißt, mindestens zwei der Sinne Sehen, Hören und Tasten sollen angesprochen werden.
Vor allem an Mehrfachhaltestellen wird Bus- und Bahnfahren dank Ansagen des Echtzeitfahrplans für blinde und sehbehinderte Menschen zuverlässiger und einfacher. Denn hier ist der Fahrplan eng getaktet. Welcher Bus zuerst kommt und welcher wo zum Einsteigen anhält, entscheidet sich oft innerhalb weniger Momente. Die Herausforderung für die Anbieter, die sich am Test beteiligen, besteht also in der Flexibilität und Verlässlichkeit ihrer Produkte.
Die zweite große Herausforderung ist die Frage der richtigen Akustik. Die Ansagen sollen für die Testpersonen laut genug und verständlich sein, zugleich aber für Anwohner der Haltestellen so leise wie möglich bleiben. Hierzu werden auch geräuschadaptive Lösungen getestet, also solche, die abhängig von der Geräuschkulisse des Umfeldes ihre Lautstärke regeln. Um diese Herausforderung zu meistern, wird ein Psychoakustiker den Modellversuch begleiten.
Eine Gruppe aus blinden, sehbehinderten und sehenden BVG-Kunden wird in den kommenden zwölf Monaten die verschiedenen Lösungen testen. Die Bewertungen und Ergebnisse dieser Testgruppe werden von der Firma SGM Educational Solutions wissenschaftlich begleitet und die Lösungsansätze auf ihre Nutzerakzeptanz, Praktikabilität sowie Wirtschaftlichkeit evaluiert. Am Ende des Modellversuchs steht eine Handlungsempfehlung, wie das Zwei-Sinne-Prinzip bei Bus und Straßenbahn umgesetzt werden kann.
Dr. Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende und Vorstand Betrieb der BVG: „Sich absenkende Busse, niederflurige Straßenbahnen, Aufzüge, Rampen und Leitsysteme für blinde und sehbehinderte Menschen in unseren U-Bahnhöfen, sind ein wichtiger Beitrag zum barrierefreien ÖPNV. Ich freue mich sehr, dass wir nun mit diesen Tests an einem weiteren Angebot zur Barrierefreiheit arbeiten. Ich bin gespannt darauf, welches System sich bewähren wird.“
Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz: „Mobil zu sein, bedeutet, am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Für alle Menschen ist es wichtig, dass sie öffentliche Verkehrsmittel ohne Hürden nutzen können. Der Abbau von Barrieren in U-Bahn, S-Bahn, Tram und Bussen hat für mich daher eine hohe Priorität. Das Projekt ist hierbei ein weiterer wichtiger Schritt und kann den Alltag von Blinden und Sehbehinderten deutlich vereinfachen.“
Elke Breitenbach, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales: „Dies ist ein tolles Projekt mit großer Wirkung vor allem für sehbehinderte und blinde Menschen. Ich freue mich über die technische Innovation, die jetzt in die Testphase geht. Sie verspricht Tausenden Menschen mehr Mobilität und damit mehr Teilhabe. Berlin geht damit einen weiteren Schritt in Richtung Barrierefreiheit im ÖPNV.“
Christine Braunert-Rümenapf, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung: „Die Möglichkeit, mobil zu sein, ist eine zentrale Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Von daher begrüße ich das Projekt sehr, denn die barrierefreie Nutzung des ÖPNV erfordert eine Informationsübermittlung, die mindestens zwei der drei Sinne Sehen, Hören und Tasten anspricht. Ebenso wichtig ist aber auch die Einbeziehung von blinden und sehbehinderten Menschen als Testende in eigener Sache. Nur sie können beurteilen, ob die vorgestellten Systeme die Anforderungen an Barrierefreiheit tatsächlich erfüllen und damit eine Verkehrsmittelnutzung jederzeit ohne fremde Hilfe und besondere Erschwernis ermöglichen.“
Die BVG leitet das Projekt in enger Abstimmung mit den Senatsverwaltungen sowie der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung (LfB), dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin e. V. (ABSV), dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV), dem Verein PRO RETINA e. V., der Technischen Aufsichtsbehörde (TAB), dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO), dem Immissionsgutachter Berliner Schalltechnisches Büro BeSB sowie dem TÜV Rheinland.
Projektbeschreibung Fahrgastinformation akustisch „2-Sinne-Prinzip bei Bus und Strassenbahn“
Das Projekt Fahrgastinformation akustisch „2-Sinne-Prinzip bei Bus und Stra-ßenbahn“ beschäftigt sich mit den Belangen der Barrierefreiheit für sehbehin-derte und blinde Menschen im öffentlichen Nahverkehr. Diese Personengrup-pe wächst durch die sich verlagernde Altersstruktur unserer Gesellschaft ste-tig. Der Anspruch an die Barrierefreiheit erstreckt sich lückenlos über die ge-samte Reisekette und betrifft Informationen über bereitgestellte und einfah-rende Fahrzeuge ebenso wie über Störungen des Regelbetriebes. Ziel des Projektes ist es, Lösungen für eine barrierefreie Fahrgastinformation für blinde und sehbehinderte Menschen zu evaluieren und Handlungsempfehlungen für nachhaltige Lösungen zu erarbeiten.
Bei dem Modellversuch werden auf der Buslinie 186 (Richtung“ S Grunewald“ bzw. Richtung „S Lichterfelde Süd“) zehn Busse und fünf Haltestellen „sprechen“. Weitere zehn Busse und vier Haltestellen werden mit Technik für die App-Lösungen ausgestattet. Auf der Straßenbahnlinie M4 (Richtung „S Hackescher Markt“ bzw. Richtung „Falkenberg“) werden zehn Fahrzeuge und acht Haltestellen „sprechen“. 17 Fahrzeuge und vier Haltestellen werden mit Technik für die App-Lösungen ausgerüstet. Grundsätzlich werden bei der akustischen Fahrgastinformation Liniennummer und Ziel ausgegeben. Dabei werden drei verschiedene Ansätze mit insgesamt zwölf unterschiedlichen Lösungen ergebnisoffen getestet:
Sprechendes Fahrzeug
Das Fahrzeug hält an der Haltestelle, die Einstiegstür wird geöffnet und Linie sowie Ziel werden vom Fahrzeug akustisch ausgegeben. Im Test sind vier unterschiedliche Systeme. Alle Systeme funktionieren im Prinzip wie die In-nenansage recht starr und aktualisieren sich bei einer unvorhergesehen Ände-rung des Fahrtziels (z. B. wegen einer Straßensperrung) nicht. In diesem Fall informiert das Fahrpersonal über die aktuelle Veränderung.
Sprechende Haltestelle
Der Fahrgast betätigt einen Druckknopf an der Haltestelle und aktiviert so das System. Anschließend werden die nächsten Abfahrten mit Linie, Ziel und vo-raussichtlicher Abfahrtzeit (wie bei den dynamischen Anzeigen) über einen Lautsprecher angesagt. Im Gegensatz zu früheren Tests wird auch das sich nähernde Fahrzeug erkannt und automatisch über den Lautsprecher mit Linie und Ziel angekündigt. Es ist also kein zusätzliches Drücken des Infoknopfes notwendig. Blinde und sehbehinderte Fahrgäste benötigen bei dieser Lösung keine zusätzliche Ausrüstung (z. B. Funktaster, Scheckkarte, Smartphone o. ä.). Im Test sind drei unterschiedliche Systeme.
Sprechendes Smartphone
Der Fahrgast erhält auf dem eigenen Smartphone über die jeweilige Test-App an der Haltestelle die akustische Information über den Namen der Haltestelle sowie über die nächsten Abfahrten mit Liniennummer, Ziel und voraussichtli-chen Abfahrtszeiten (wie bei den dynamischen Anzeigen). Bei Einfahrt eines Fahrzeuges kündigt die App die Liniennummer sowie das Ziel an. Durch hin-terlegte GPS-Koordinaten wird die jeweilige Haltestelle erkannt. Jedes Fahr-zeug der Linien 186 und M4 ist mit einem Beacon (basiert auf Bluetooth Low Energy BLE) ausgestattet. Jedes ausgestattete Fahrzeug wird so eindeutig von der App auf dem Smartphone identifiziert, sodass das Fahrzeug in Echt-zeit auf dem Smartphone wenige Augenblicke vor dem Eintreffen angekündigt wird. Die App kann auch über planmäßige Veränderungen (Baumaßnahmen) informieren, wenn diese in den VBB-Daten verfügbar sind. Im Test sind fünf Lösungen.
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