Stadler hat mit Erstaunen vom Zwischenentscheid des Verwaltungsgerichts Zürich zur Beschwerde von Stadler gegen das Vergabeverfahren der VBZ Kenntnis genommen. Das Gericht hat der Beschwerde gegen die Beschaffung von bis zu 140 Strassenbahnen keine aufschiebende Wirkung erteilt. Zwar bezeichnet das Gericht das Vergabeverfahren als „nicht sonderlich transparent“, stellt aber das öffentliche Interesse an einer raschen Vergabe über das öffentliche Interesse an einer korrekten Vergabe. Diesen weitreichenden Beschluss fällt das Gericht acht Monate nach Einreichung der Beschwerde und sechs Jahre nach Beginn der Ausschreibung, ohne auf die einzelnen Beschwerdepunkte eingegangen zu sein.
Bombardier Flexity im Juni 2010 auf der Linie 11 an der Haltestelle Wetlistrasse bei den VBZ im Test Foto: Marcel Manhart
Das Verwaltungsgericht Zürich hat mit Beschluss vom 10. Februar 2017 der Beschwerde von Stadler gegen die Beschaffung von bis zu 140 Trams durch die VBZ keine aufschiebende Wirkung erteilt. Dieser Zwischenentscheid wurde acht Monate nach Einreichung der Beschwerde und sechs Jahre nach Beginn der Ausschreibung gefällt. Stadler ist sehr enttäuscht über diesen Entscheid, der aufgrund einer bloss vorläufigen Prüfung erging, aber weitreichende Konsequenzen hat. Die in keiner Weise von den Anbietern verschuldete lange Verfahrensdauer hat sich nun zu deren Nachteil ausgewirkt.
Verletzung von Musskriterien, ab Seite 9, 3.2
Das Gericht bestätigt, dass bei allen Teilnehmern zwingende Ausschreibungsbedingungen nicht eingehalten worden sind. Gemäss den ausdrücklichen Ausschreibungs-Vorgaben der VBZ hätte ein
Nicht-Erfüllen der über 900 Musskriterien zu einem Ausschluss der Teilnehmer und hernach zu einer Neuausschreibung führen sollen. Das Gericht schreibt der Vergabestelle nun trotz klar
festgehaltener Spielregeln einen grossen Ermessensspielraum zu. Die Behörde habe die Möglichkeit, allenfalls in einem erneuten Verfahren mit geänderten Rahmenbedingungen nach einer Lösung zu
suchen. Die Weiterführung des Verfahrens dürfe aber nicht zu einer Bevorzugung des einzelnen Anbieters führen. Aus Sicht von Stadler ist das eine unzulässige Änderung der Spielregeln während des
laufenden Spiels zugunsten einer Partei.
Fehlen einer Bremsrechnung und Nicht-Erfüllen der Crash-Anforderungen, ab Seite 14, 4.5
So hat das Angebot von Bombardier beispielsweise keine Bremsrechnung enthalten und es erfüllt die zwingend einzuhaltenden Crash-Anforderungen nicht. Das Gericht sieht auch darin keinen zwingenden
Ausschluss. Es bewertet nur das grundsätzliche Vorliegen eines Crash-Konzeptes – geht aber nicht inhaltlich auf unseren Beschwerdepunkt ein. Demnach erleidet das Fahrzeug von Bombardier im Falle
einer Kollision grössere Schäden als in den Schadenbildern dargelegt.
Unabhängigkeit des Gutachters, ab Seite 12, 4.2
Die von Stadler vorgebrachten Bedenken betreffend die Unabhängigkeit des TÜV Süd und die Aussagekraft dieses von der Beklagten beauftragten Gutachtens werden durch das Gericht nicht weiter
berücksichtigt. Es belässt es bei der Bemerkung, dass die VBZ ja nicht als alleinige Auftraggeberin auftrat. Aus der gemeinsamen Beauftragung durch VBZ und ZVV schliesst das Gericht eine
ausreichende Unabhängigkeit des TÜV-Gutachters. Für Stadler ist diese Begründung nicht nachvollziehbar und unzureichend.
Intransparentes Vergabeverfahren, ab Seite 17, 6.
Stadler macht eine Verletzung des Transparenzgebots, des Gleichbehandlungsgebots und der Dokumentationspflicht geltend. Das Verwaltungsgericht zeigt sich irritiert, weil wir aufgrund dessen keine neue Bewertung der vorhandenen Angebote verlangen. Es sei deshalb nicht ersichtlich, was wir bezwecken. Dies herauszufinden ist auch nicht Aufgabe des Gerichts. Die Beurteilung der festgestellten Verstösse hingegen schon. Darauf geht das Gericht jedoch nicht ein.
Das Verwaltungsgericht bezeichnet das durchgeführte Vergabeverfahren als „nicht sonderlich transparent“ (Seite 19, 7.). Dennoch sieht es sich nicht dazu veranlasst, die von Stadler monierte intransparente und verzerrende Bewertung weiter zu prüfen (6.1 und 6.2). Der vorliegende Zwischenentscheid wurde gefällt, obwohl das Gericht bis heute – trotz mehrfacher Aufforderung – nicht die vollständigen Vergabeunterlagen von der VBZ erhalten hat (Seite 23, 11.).
Rechtmässigkeit der Punktevergabe, ab Seite 7, 2.
Das Gericht führt in dem Beschluss einen Auszug aus der Bewertung der VBZ auf. Es nimmt den Punkterückstand von Stadler als Indiz dafür, dass die Chancen von Stadler, letztlich doch noch den
Zuschlag zu erhalten, nicht realistisch sind. Dies ist in sich widersinnig, da ja unter anderem gerade die Rechtmässigkeit dieser Punktevergabe in der Beschwerde angefochten wird. Dass die
Chancen von Stadler, den Zuschlag zu erhalten, nicht realistisch sind, sagt nichts über die Rechtsmässigkeit des Verfahrens aus.
Rechtmässigkeit der Preisbewertung, ab Seite 18, 6.2.3
Dies gilt auch für die Preisbewertung. Das Verwaltungsgericht verweigert sich einer Auseinandersetzung mit der Rechtmässigkeit der Preisbewertung, weil Stadler keine Neubeurteilung angestrebt
hat. Diese Verknüpfung von Rechtmässigkeit und Gewinnchancen ist für Stadler nicht nachvollziehbar.
Korrekte Vergabe vs. rasche Vergabe
Das Gericht gewichtet das öffentliche Interesse an einer raschen Beschaffung von neuen Trams höher als das öffentliche Interesse an einer rechtlich korrekten Vergabe sowie das private Interesse
der unterlegenen Anbieter an einem fairen und transparenten Verfahren. Dies urplötzlich, nachdem das Vergabeverfahren nun schon seit über sechs Jahren dauert. Überdies verknüpft es das Interesse
an einer rechtlich korrekten Vergabe mit der Wahrscheinlichkeit, mit welcher Stadler doch noch den Zuschlag erhalten könnte. Diese erneute Vermischung von der Rechtmässigkeit des Verfahrens mit
den Gewinnchancen eines Teilnehmers ist nicht nachvollziehbar.
Weiteres Vorgehen
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 10. Februar 2017 die aufschiebende Wirkung der Beschwerde von Stadler aufgehoben. Das Verfahren ist damit jedoch nicht gestoppt. Ob Stadler das
Verfahren unter diesen Voraussetzungen weiterführt, ist derzeit noch nicht entschieden. Den vorliegenden Zwischenentscheid des Verwaltungsgerichts könnte Stadler an das Bundesgericht
weiterziehen. Das Bundesgericht kann diesen Zwischenentscheid jedoch nur sehr eingeschränkt überprüfen. Stadler verzichtet daher auf einen Weiterzug.
Rückblick: Keine aufschiebende Wirkung der Beschwerden
Das Verwaltungsgericht Zürich hatte am 21. Februar 2017 mitgeteilt, dass den Beschwerden von Stadler Rail und Siemens im Trambeschaffungsgeschäft keine aufschiebende Wirkung zukommt. Es kam aufgrund seiner vorläufigen Beurteilung zum Schluss, dass der Zuschlag an Bombardier nicht zu beanstanden ist und kein Grund besteht, das Submissionsverfahren zu wiederholen. Das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde abgewiesen, weil die Beschwerden „bei einer vorläufigen Beurteilung mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit abzuweisen wären“. Das Verwaltungsgericht schätzt zudem das öffentliche Interesse an der baldmöglichsten Vergabe als erheblich ein und schreibt in seinem Beschluss: „Der Beschwerde ist deshalb infolge entgegenstehender überwiegender öffentlicher Interessen keine aufschiebende Wirkung zu erteilen“. Für die VBZ bedeutet dies, dass sie nun so rasch als möglich den Vertragsschluss mit Bombardier vorantreiben können.
Am 17. Mai 2016 haben die Stadt Zürich und die VBZ gemeinsam den Zuschlag für die 70 neuen Trams inklusive 70 Optionsfahrzeuge bekannt gegeben. Stadler Rail und Siemens haben am 30. Mai 2016 beim Verwaltungsgericht Zürich Beschwerde eingereicht gegen den Vergabeentscheid für die neuen Fahrzeuge. Das Verwaltungsgericht hat nun den beiden Beschwerden keine aufschiebende Wirkung gewährt.
Die VBZ können nach diesem erfreulichen Entscheid des Verwaltungsgerichts Zürich den Vertragsschluss mit Bombardier so rasch als möglich vorantreiben. Stadler Rail und Siemens können gegen diesen Beschluss Beschwerde beim Bundesgericht erheben, was eine weitere grosse Verzögerung der Trambeschaffung zulasten der Fahrgäste und der VBZ zur Folge haben könnte.
Das Verwaltungsgericht weist darauf hin, dass die öffentlichen Verkehrsmittel spätestens ab 1. Januar 2024 behindertengerecht sein müssen. Wie bereits mehrfach kommuniziert werden den VBZ Fahrzeuge für das weitere Passagierwachstum und neue Linien fehlen, sollte die Bestellung an Bombardier nicht umgehend ausgelöst werden können.
Aus diesem Grund wertet das Verwaltungsgericht das öffentliche Interesse als erheblich und weist das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung von Stadler Rail und Siemens ab.
Zur Erinnerung: Die Bewertung der VBZ wurde durch das externe Gutachten von TÜV Süd überprüft und vollumfänglich bestätigt. Insbesondere kamen die Gutachter zum Schluss, dass die von den VBZ im Rahmen der Ausschreibung durchgeführte qualitative Beurteilung der Angebote vollständig, anbieterneutral und nachvollziehbar ist. Die Zweitmeinung des Gutachters bestätigte somit nach umfassender Prüfung das Ergebnis der Auswertung der VBZ.
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